Reise-Fieber

Nach den neuen Visaregelungen, die der chinesische Staat mit Wirkung vom 28. März 2020, 0:00 Uhr erlassen hat, können Ausländer bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Diplomaten) nicht mehr nach China einreisen, auch wenn sie so wie wir eine gültige Aufenthaltsgenehmigung und einen Work Permit haben.
Das bedeutet also im Umkehrschluss für uns und viele andere: in absehbarer Zukunft sicher keine Ausreise mehr aus China, da danach die Wieder-Einreise nicht mehr möglich ist.

Sofern möglich, reist man ja inzwischen mit der automatischen Kontrolle ein. Das haben wir nach dem Tauchurlaub in Koh Phi Phi auch gemacht. Fehler! Seit Corona außerhalb Chinas wütet, muss man als Ausländer immer mit dem Einreisestempel beweisen, dass man schon vor Monaten hier eingereist ist und nicht etwa kürzlich virenverseucht mit dem Fallschirm hier abgesprungen ist. Zum Glück gibt es am Flughafen ein Büro, in dem man sich diesen Stempel auch nachträglich holen kann…!

Gut, dachten wir uns, muss man sich halt arrangieren.
Nachdem wir sowieso schon viel außerhalb Chinas unterwegs waren – Hawaii, Neuseeland, Australien und die ganzen Tauchreisen – und es innerhalb Chinas unzählige sehenswerte Reiseziele gibt, kann man den Urlaub auch hier verbringen und etwas stärker an der “Bucket List” arbeiten…

Die Health Code-App für Shanghai hatte ich schon einmal thematisiert; die Health Code-App des Reiseziels – in unserem Fall die Hunan Provinz – hat man am besten auch schon vor Reiseantritt auf dem Handy.

Da die Corona-Situation ab Anfang Juni hier quasi gar keine mehr war, wollten wir die neue Reisefreiheit zunächst mit einem langen Wochenende ausprobieren, und das sollte in die 1400 Kilometer entfernten sogenannten Avatar-Berge im Südwesten gehen.
Ein Ort, den wir immer schon sehen wollten!
Und damit auch nichts schiefgehen kann, haben wir diesen Mini-Trip sogar über eine Agentur gebucht. Sollte sich als gute Idee herausstellen!

Flughafen Pudong am Freitagabend, dem 19. Juni: gähnende Leere bei der Anfahrt (dort wo die Autos sonst in Dreierreihen halten nur unser Sharan), ebenso im Check-In-Bereich und beim Warten im Terminal.

Freundliche Kontrolleure beim Betreten des Flughafens, die junge Dame am Check-In super nett und überglücklich, dass sie mir alles auf Chinesisch erklären konnte – man brauchte nämlich noch eine zusätzliche App, diese hier, die wir downloaden und aktivieren mussten:

Wer findet den Unterschied?
Nein, es ist nicht oben der blaue Rand! Unter dem grünen Pfeil steht etwas mit “14”, und dahinter sieht man was ich meine. Es geht darum, mit dieser Tracking-App zu beweisen, wo man sich in den letzten 14 Tagen aufgehalten hat. Das linke Bild (Datum und Uhrzeit über dem grünen Pfeil!) zeigt darunter nur einen Ort, nämlich Shanghai. Im rechten Bild, vor der Rückreise aufgenommen, sieht man, dass ein weiterer Ort dazugekommen ist. Wäre man nun z.B. in einem dieser Viertel in Peking gewesen mit den neuen Ausbrüchen, würde man das hier sehen – und die App wäre nicht mehr grün!!

Nach dem netten Gespräch am Check-In eine freundliche Behandlung bei der Security – wir waren mehr als erstaunt und begeistert, so was hatten wir noch nie erlebt!
Was wir da alles schon gehört hatten von Expats, die im April oder Mai verreist waren…! Wir wurden weder separat an eine “ungefährliche Stelle” im Flieger platziert, noch separat als Letzte geboardet – alles gut also, es scheint sich wieder zu normalisieren, dachten wir!
Wir hatten durchaus etwas Bammel vorher, denn man hört so einiges was Ausländer zur Zeit an Schwierigkeiten erleben, einfach der Tatsache geschuldet, dass man in China nun allgemein das Gefühl hat, man sei hier auf einer sicheren Insel inmitten einer weltweiten Pandemie und die Hauptgefahr käme von Außen.
Ist ja auch so ähnlich, aber wer soll die Pandemie denn hier hereintragen?! Die “Amerikaner” oder “Engländer”, die hier einreisen und danach mit dem Virus diagnostiziert werden, sind alles Chinesen mit ausländischem Pass, anderen ist ja die Einreise nicht gestattet. Aber nachdem diese “importierten Fälle” immer überall verbreitet werden, ist eben einfach in den unteren Bildungsschichten oder in ländlichen Gegenden die Angst vor Ausländern durchaus spürbar.

So leer wie es hier schien, war der Flieger absolut nicht, der wurde fast voll. Dass wir die einzigen beiden Ausländer an Bord waren, das sollte so bleiben.
Das gute, entspannte Gefühl hielt bis wenige Augenblicke vor dem Aussteigen vor. Wir waren in Reihe 37, im ganzen Gang vor uns war schon dichtestes Gedrängel, das wollten wir uns nicht antun, wir sollten ja sowieso von Fahrer und Guide abgeholt werden, da sind 5 Minuten früher oder später auch egal.
Plötzlich gab es Aufruhr, von Vorne marschierte eine Stewardess durch, gab allen Kommandos sich gefälligst wieder hinzusetzen, kam auf uns zu und herrschte uns an von wegen, ihr seid Ausländer, ihr müsst jetzt sofort mitkommen. Wir wurden zum Ausstieg eskortiert, dort einem jungen Mann übergeben, der uns strammen Schrittes durch den Flughafen zu einem separaten Ankunfts-Check marschierte. Beim Aussteigen habe ich noch gehört, dass die nachdrängenden Mitreisenden dazu verdonnert wurden noch zu warten – wegen der Sicherheit! Waren wir nicht gerade fast drei Stunden mitten unter ihnen gesessen…?

Die folgende Prozedur war halbwegs OK (mein junger Mann) bis mega unfreundlich (die Frau, die Martin in die Mangel nahm), und umfasste weiteres Fiebermessen, Zeigen von Shanghai Health-Code, Hunan Health-Code, des Grünen Pfeil-Codes, weiterhin das Zeigen von Visum und rotem Stempel sowie des Boarding-Passes, das Fotografieren all der genannten Dokumente und Apps und unserer Gesichter, das Ausfüllen eines chinesischen Formulars mit viel zu wenig Platz für westliche Namen, usw. usf. Man schien erstaunt zu sein, dass wir in China wohnen und tatsächlich “nur” aus Shanghai angereist waren. (Hier nochmal die innerlich gestellte Frage: Woher sollten wir denn sonst kommen, aus dem Ausland ist es ja nicht möglich?!)
Es zog sich ewig und wir fühlten uns nicht direkt willkommen.

Endlich im Hotel war das Ganze weniger stressig. Boardingpass, Pass, roter Stempel, Health Code, aber alles sehr freundlich. Mein roter Stempel ist leider mitten irgendwo im Pass! Mein Pass ist schon fast voll, und da man ihn anscheinend nicht beim derzeitigen Visum anbringen wollte, ist es jedes Mal eine Mords-Sucherei, und ich biete gleich meine Hilfe an, weil ich es schneller finde.

Samstag.
Mit Hilfe des Guides sollten wir unsere vorbestellten Eintrittskarten für den Nationalpark “abholen”. Die Agentur und der Guide hatten uns eingeschärft, die Boardingpässe nur ja dem Guide zu übergeben, da wir diese immer wieder brauchen würden.
Fanden wir verwunderlich. War aber so.
Mords Zinnober um die Eintrittskarten zu bekommen, viel Fotografiererei unserer Dokumente – siehe Oben – und unserer Gesichter, Ausfüllen von Formularen durch die Kassendame. Irgendwann durften wir dann endlich rein.
Um festzustellen, dass wir beim Kauf der ersten Seilbahntickets eine ähnliche Prozedur vor uns hatten. Am Drehkreuz für die Seilbahn trotz gültiger Tickets ähnliches Theater.

Sonntag.
Da ich von den Erlebnissen des Vortages reichlich angefressen war und wir uns aktiv diskriminiert fühlten, habe ich angefangen heimlich Fotos zu machen, zum Glück ist mir keiner drauf gekommen, das hätte sicher Ärger gegeben.
Hier die Kurzversion: Dreimal verschärfte Kontrollen.
Zunächst für den erneuten Ticketkauf, wo man unser Ansinnen noch mit Fassung und relativ professionell bearbeitete:

Weiter ging’s am ersten Drehkreuz mit den soeben mühsam erworbenen gültigen – jaha, sogar auch für Ausländer! – Tickets, auf deren Vorzeigen große Diskussionen zwischen Guide (mittig) und Personal folgten:

Hatte ich bereits erwähnt, dass jeder immer alles fotografieren musste…?
Und die Boardingpässe…?
Später ging es in eine andere Seilbahn. Mit den immer noch auch für Ausländer gültigen Tickets…

Vermutet jemand schon, was man alles vorzeigen musste und was alles fotografiert wurde…?

Das ganze Theater hat uns schon ziemlich genervt. Eine schärfere Kontrolle am Eingang, gut, würde man verstehen. Aber wenn man schon drin ist!
Wo soll man denn bitte heimlich herkommen…?

Diese letzte App am Check-In um unsere genauen Angaben für den Rückflug zu speichern und zu tracken, hätte uns fast um den Verstand gebracht.
Eine schlechte Übersetzung ins Englische mit zahlreichen Stolperfallen.
Eine dialektsprechende Angestellte.
Und der zweite Teil der App mit Angaben zu Wohnsitz etc. als Auswahlmenu zum Anklicken auf Chinesisch mit Ausfüllen der kompletten chinesischen Adresse. Letzeres kein Problem, das kann ich wirklich.

Zurück in Pudong war übrigens alles ganz normal.
Wir durften einfach aussteigen, mit allen anderen im Bus fahren, zum Gepäckband gehen und den Flughafen verlassen, und haben uns nicht mehr wie Menschen zweiter Klasse gefühlt.
Eine gute Lektion an sich, wie wir fanden, gerade im Zuge der ganzen Diskriminierungs-Diskussionen. Wenn mich so etwas in dieser milden Form (Es waren ja nur Kontrollen!) in zwei Tagen schon so aggressiv macht…

Im nächsten Post zeige ich dann, was wir außer Kontrollen sonst noch gesehen haben und dass es sich prinzipiell lohnt dort hinzufahren. 😉
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen, heißt es.
Wohl wahr!